Wann ist die HRV zu hoch, wann zu niedrig und was bedeutet stark abweichende Messwerte. Das sind die häufigsten Fragen bezüglich der Herzfrequenzvariabilität, die ich in diesem Ratgeber beantworten möchte.
Aus Teil 1 der Artikelserie zur Herzfrequenzvariabilität wissen wir bereits, daß das Herz nicht wie ein Metronom gleichmäßig schlägt, sondern seinen ganz eigenen Rythmus hat.
Mal sind die zeitlichen Abstände zwischen zwei Herzschlägen etwas größer, wenn Du zum Beispiel entspannt auf der Couch liegst. Und wenn Du eine Laufrunde machst oder im Fitness Studio bist, verringern sich diese Intervalle deutlich.
Diese unterschiedliche Schlagfolge des Herzens nennt sich Herzfrequenzvaribilität (HRV) und gilt als ein sehr guter Indikator dafür, wie gesund und fit Du bist.
Das Wichtigste auf einem Blick
Die Herzfrequenzvariabilität (HRV) wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst. Genetik, Alter und Geschlecht sind dabei ebenso wichtige Einflüsse wie Fitness Level, Schlafqualität oder Ernährung.
Für die HRV gibt es keine wissenschaftlich definierten Normwerte. Umfassende Studien haben eine breite Streuung und von Messdaten ermittelt. Diese Varianz macht es unmöglich evidenzbasierte Referenzwerte festzulegen.
Die Herzfrequenzvariabilität ist ein äußerst individueller Messwert, der sich mit keiner anderen Person vergleichen lässt. HRV Messdaten lassen sich daher nicht im herkömmlichen Sinn als „gut“ oder „schlecht“ einordnen.
Um HRV Messwerte beurteilen zu können, muss zuerst eine Baseline ( Normalbereich) ermittelt werden. Erst dann ist es möglich Messdaten entsprechend einzuordnen.
Die HRV ist so individuell wie Du
Jeder der schon einmal seine eigene Herzfrequenzvariabilität gemessen hat, stellt sich schon bald folgende Fragen
- Gibt es eigentlich Normwerte für die Herzfrequenzvariabilität?
- Welche HRV sollte ich haben?
- Wann ist die Herzfrequenzvariabilität gut oder schlecht?
- Und was bedeuten es, wenn die Messwerte stark abweichen?
Und an der Stelle gleich der große Spoiler:
Es gibt für die Herzfrequenzvariabilität keine Normwerte oder Empfehlungen.
Warum das so ist und wie Du trotzdem Deine Messwerte besser einschätzen und verstehen kannst, erfährst Du jetzt.
Gene, Alter, Geschlecht und sogar die Jahreszeit spielen eine Rolle
Grundsätzlich lässt sich sagen, daß jüngere Menschen tendenziell eine höhere HRV haben als Ältere. Ebenso wurde beobachtet, daß Frauen unter 50 Jahren eine höhere Herzfrequenzvariabiltität haben als Männer im selben Alter.
Weiters ist sich die Wissenschaft sicher, daß auch die Genetik die Herzfrequenzvariabilität beeinflusst. Und im Rahmen einer Studie wurde festgestellt, daß selbst die Jahreszeit Einfluss auf die HRV hat. So wurden beim Männern im Sommer höhere Werte gemessen als im Winter.
Weitere Faktoren, die sich auf die HRV auswirken
- Fitnesslevel: Sportler haben oft eine höhere HRV als weniger aktive Menschen.
- Schlaf: Guter Schlaf fördert eine hohe HRV.
- Stress: Chronischer Stress kann deine HRV senken.
- Medikamente: Bestimmte Medikamente können die HRV beeinflussen.
- Alkohol und Nikotin: Diese Substanzen können deine HRV negativ beeinflussen.
Studie: Keine Normwerte möglich
Im Rahmen einer sehr beeindruckende Studie aus den Niederlande, an der mehr als 150.000 Menschen teilgenommen haben, wurde versucht herauszufinden, ob es möglich ist, HRV-Normwerte zu definieren.
Zuerst wurden alle Personen mit diversen Vorerkranken wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes, Fettleibigkeit und der Einnahme von Antidepressiva, Betablockern und vagusmodulierenden Mitteln ausgeschlossen.
Die Messungen an den verbleibenden rund 85.000 Personen zeigte eine riesige Streuung der HRV-Werte, unabhängig von Alter und Geschlecht.
Beispielsweise wurden bei Frauen zwischen 35 und 45 Jahren HRV Werte von 9,7 bis 141,9 gemessen. Bein Männern in der Altersgruppe 45 bis 55 Jahre wurden Messwerte zwischen 6,7 bis 95,5 festgestellt.
Alter | Geschlecht | HRV Mittelwert (RMSSD Median) | Streuung (2. und 98 Perzentile) |
25 29 | weiblich | 47,5 | 11,5 – 180,7 |
männlich | 42,3 | 10,1 – 172,7 | |
30 – 34 | weiblich | 42.3 | 11.5 – 161.0 |
männlich | 36.9 | 10.2 – 140.8 | |
35–39 | weiblich | 37.9 | 10.8 – 141.9 |
männlich | 32.8 | 8.6 – 123.8 | |
40–44 | weiblich | 33.9 | 9.7 – 123.7 |
männlich | 29.0 | 8.1 – 105.5 | |
45–49 | weiblich | 29.2 | 8.3 – 109.5 |
männlich | 26.0 | 7.1 – 95.5 | |
50–54 | weiblich | 26.6 | 7.5 – 96.3 |
männlich | 23.7 | 6.7 – 87.5 | |
55–59 | weiblich | 22.5 | 6.7 – 83.6 |
männlich | 21.0 | 5.5 – 89.5 | |
60–64 | weiblich | 20.5 | 5.5 – 79.3 |
männlich | 19.1 | 4.8 – 86.6 |
Die breite Streuung an Messwerten macht es unmöglich, sinnvolle und aussagekräftige Normwerte zu definieren. Die Studie zeigt deutlich, daß die Herzfrequenzvariabilität äußerst individuell ist und durch zahlreiche Faktoren beeinflusst wird.
Was das für dich bedeutet
- Nutze deine HRV als Kompass: Deine HRV ist ein wertvolles Feedback-Instrument. Sie zeigt dir, wie dein Körper auf Stress, Erholung und Training reagiert. Nutze diese Informationen, um dein Leben gesünder zu gestalten.
- Vergleiche dich nicht mit anderen: Es ist sinnlos, deine HRV mit der deines Freundes oder einer Zahl aus dem Internet zu vergleichen. Konzentriere dich stattdessen auf deine persönlichen Trends.
- Beobachte deine Entwicklung: Messe deine HRV regelmäßig und achte darauf, wie sie sich im Laufe der Zeit verändert. So erkennst du, was deine HRV beeinflusst und wie du sie verbessern kannst.
Herzfrequenzvariabilität – Messwerte richtig verstehen
Wie wir jetzt erfahren haben, gibt es keine Normwerte, um so die eigenen HRV Messwerte einschätzen zu können.
Damit Du aber Deine Messdaten besser beurteilen kannst, gibt es einfache, aber sehr bewährte Vorgangsweise.
Egal welche Messmethode Du anwendest, ob mit einer App, Brustgurt, Orthostatischen Test oder Smartwatch – es gelten immer die selben Regeln.
- Die Messungen sollten immer unter den selben Bedingungen durchgeführt werden.
- Zuerst musst Du Deine Baseline (Grundwert) ermitteln
- Dann ist eine Einordnung und Beurteilung der HRV Messwerte möglich
Übringens in einer Studie wurde festgestellt, daß es keinen Unterschied macht, ob Du die HRV täglich einmalig manuell (bspw. mit Burstgurt) oder automatisch während der Nacht misst (bspw. mit Smartwatch)
Lanfristige Trends wichtiger als Einzelergebnisse
Jetzt wo Du Deinen persönlichen Normalwert kennst, ist für Dich sehr einfach aktuelle Messwerte besser einzuschätzen. Bewegen sich die Messdaten über dem Normalwert, dann wird von einer hohen (positiv) HRV gesprochen, liegen sie darunter, dann wird das als eine niedrige (negativ) HRV bezeichnet.
Dabei solltest Du aber einzelnen Messungen keine allzu große Beachtung schenken. Auch wenn Du manchmal eine niedrige HRV gemessen hast, bedeutet das nur, daß Du an solchen Tagen nicht in Bestform bist und es vielleicht ein wenig ruhiger angehen solltest. Das ist völlig normal und kommt bei Jedem vor.
Viel interessanter sind Messwerte über längere Zeiträume, die konkrete Rückschlüsse zulassen, ob Deine momentane Lebensweise Gesundheit und Wohlbefinden fördern.
Meine HRV -Langzeitmessung im Detail
Zum besseren Verständnis möchte ich Dir meine Messwerte direkt aus der Praxis zeigen. Ich nutze dazu seit rund 18 Monaten die Garmin Forerunner 255 und den HRV Status.

Ich bin 52 Jahre alt und meine durchschnittliche HRV bewegt sich immer knapp unter 40 ms. Wenn ich diesen Wert mit den Daten aus obiger Tabelle vergleiche, bin ich offenbar in ganz guter Verfassung.
Auch wenn meine Herzfrequenzvariabilität einen insgesamt sehr stabilen Verlauf zeigt, gibt es natürlich auch Schwankungen. So wurden beispielsweise im Juni und Juli diesen Jahres die bisher niedrigsten und höchsten Messwerte aufgezeichnet, wie nachstehende Bilder zeigen.

Niedrige HRV – typische Gründe aus der Praxis
In diesen 18 Monaten gab es natürlich auch einige Phasen, in denen meine Herzfrequenzvariabilität sank und sich für einige Tage auf niedrigen Niveau bewegte. Jedesmal gab es dafür auch ein guten Grund.
April 24 – Zahnschmerzen

Anfang April war ich in bester Verfassung, meine Messdaten bewegten sich immer um die 40 ms herum. Doch plötzlich sank die Herzfrequenzvariabilität deutlich ab und laut HRV Status befand ich mich sogar in einem unausgewogenen Zustand.
Zuerst konnte ich mir diese Entwicklung nicht erklären. Doch schon ein oder zwei Tage später saß ich mit heftigen Zahnschmerzen beim Arzt. Nach einer entsprechenden Behandlung durch den Zahnarzt stiegen die Messdaten wieder und es dauerte nicht lange bis ich wieder den normalen HRV Zustand erreichte.
Mai/ Jui 24 – Hohe Trainingsbelastung

Wieder fühlte ich mich sehr gut und die hohen HRV Werte bestätigten meinen Eindruck. Doch gegen Ende Mai kam plötzlich der große Absturz. In diesem Fall kannte ich aber die Ursache. Es war mein sehr intensives und häufiges Training.
Zahlreiche Intervall Trainings, Tempoläufe und dazu noch hartes Krafttraining forderten nach einigen Wochen ihren Tribut. Ich war körperlich eindeutig überlastet und meine Herzfrequenzvariabilität zeigte das ganz deutlich.
Nach einer Ruhephase in der ich wenig oder nur leicht trainierte, startete ich Anfang Juni wieder meine normale Trainingsroutine. Wie am Diagramm schön erkennbar, war das offenbar noch ein wenig zu früh, weshalb ich mich noch ein paar weitere Tage schonte.
November/ Dezember 24 – Erkältung

Ende letzten Jahres war es richtig übel, denn da hat mich eine ausgewachsene und sehr hartnäckige Erkältung erwischt. Angefangen hat Alles schon Ende November, wo die Infektion meine HRV Werte bis in den niedrigen Bereich runterdrückte.
Dann folgten einige Tage, an denen ich beschwerdefrei war und ich mich auch sehr wohl fühlte. Doch die Erkältung kam noch schhlimmer zurück und die Erkrankung zog sich über die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel.
Wie du siehst, kann Deine HRV ein wertvolles Instrument zur Früherkennung und Prävention sein. Nutze sie, um deine Gesundheit im Blick zu behalten und rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen.
Wenn deine HRV im Keller ist:
Eine niedrige HRV kann ein Warnsignal deines Körpers sein. Sie kann bedeuten, dass du…
- gestresst bist: Dein Job, deine Familie, der Alltag – alles kann Stress auslösen und deine HRV drücken.
- krank bist oder kurz davor stehst: Infekte, Entzündungen und andere Erkrankungen können deine HRV senken.
- zu hart trainierst: Übertraining kann deinen Körper überlasten und deine HRV beeinträchtigen.
- zu wenig schläfst: Schlafmangel raubt deinem Körper die nötige Erholung und lässt deine HRV sinken.
- ungesund lebst: Rauchen, Alkohol, schlechte Ernährung – all das kann deine HRV negativ beeinflussen.
Eine niedrige HRV ist kein Grund zur Panik, aber ein guter Anlass, genauer hinzuschauen und gegebenenfalls etwas zu ändern. Vielleicht brauchst du einfach mehr Schlaf, eine Auszeit vom Stress oder eine Anpassung deines Trainingsplans.
Sollte sich Deine Herzfrequenzvariabilität über einen längeren Zeitraum auf einem niedrigen Niveau bewegen, ohne daß Du dafür die Ursache kennst, dann macht es sicher Sinn, den Arzt deines Vertrauens aufzusuchen.
Messdaten sind nicht Alles
Die Messung der Herzfrequenzvariabilität ist ohne Zweifel sehr nützlich und hilfreich. Doch es wäre meines Erachtens ein Fehler sich ausschließlich nur auf die Messdaten zu verlassen.
Ein ganz wesentlicher Faktor ist Dein subjektives Körpergefühl und das hat gute Gründe:
Individuelle Unterschiede: Jeder Mensch hat eine einzigartige physiologische Basis und reagiert unterschiedlich auf Stress, Erholung und andere Einflüsse. Was für eine Person ein normaler HRV-Wert ist, kann für Dich ungewöhnlich sein. Das Körpergefühl hilft Dir dabei, die Messwerte im persönlichen Kontext zu interpretieren.
Einflussfaktoren erkennen: Zahlreiche Faktoren können die HRV beeinflussen, darunter Schlaf, Ernährung, Bewegung, Stress, Emotionen und sogar die Tageszeit. Während ein Messgerät den aktuellen Zustand erfasst, kann das Körpergefühl dabei helfen, mögliche Ursachen für Veränderungen zu identifizieren. Wenn Du Dich beispielsweise trotz eines guten HRV-Werts müde und schlapp fühlst, könnte dies auf einen anderen, nicht erfassten Faktor hinweisen.
Ganzheitliches Wohlbefinden: Die HRV ist nur ein Aspekt der Gesundheit. Das subjektive Körpergefühl berücksichtigt auch andere Bereiche wie Energielevel, Stimmung, Schmerzen und allgemeine Vitalität. Indem Du auf das gesamte Spektrum achtet, erhhaltest Du ein umfassenderes Bild Deines Wohlbefindens.
Frühwarnzeichen erkennen: Manchmal treten Veränderungen im Körpergefühl auf, bevor sie in den Messwerten sichtbar werden. Ein erhöhter Stresslevel kann sich beispielsweise durch innere Unruhe oder Anspannung bemerkbar machen, noch bevor die HRV signifikant sinkt. Durch Achtsamkeit gegenüber dem Körpergefühl kannst Du solche Frühwarnzeichen erkennen und rechtzeitig Maßnahmen ergreifen.
Motivation und Eigenverantwortung: Indem Du lernst, auf das eigene Körpergefühl zu achten, entwickelst Du ein besseres Verständnis für die eigenen Bedürfnisse und Grenzen. Dies fördert die Motivation, einen gesunden Lebensstil zu führen und eigenverantwortlich für das eigene Wohlbefinden zu sorgen.
Fazit
Deine Herzfrequenzvariabilität (HRV) ist mehr als nur ein abstrakter Wert auf deiner Smartwatch. Sie ist ein persönlicher Gesundheitskompass, der dir wertvolle Einblicke in dein körperliches und geistiges Wohlbefinden gibt.
Eine hohe HRV ist ein Zeichen für gute Gesundheit, Stressresistenz und optimale Leistungsfähigkeit. Eine niedrige HRV kann hingegen auf Stress, Überlastung, Schlafmangel oder sogar gesundheitliche Probleme hindeuten.
Indem du deine HRV regelmäßig misst und beobachtest, kannst du frühzeitig erkennen, wenn etwas aus dem Gleichgewicht gerät. Du kannst Stress rechtzeitig abbauen, dein Training anpassen, deinen Schlaf verbessern und so deine Gesundheit aktiv fördern.
Deine HRV ist ein mächtiges Instrument, das dir hilft, dein volles Potenzial auszuschöpfen und ein gesundes, erfülltes Leben zu führen. Nutze sie, um deinen Körper besser zu verstehen und die richtigen Entscheidungen für dein Wohlbefinden zu treffen.
Hi Sven,
Von der Morpheus App habe ich schon gehört und die klingt super interessant. Steht schon seit einiger Zeit auf meiner Liste und werde ich sicher auch mal testen. Freut mich, daß ein Kollege von Smartzone hier vorbeischaut 🙂 LG Andreas
Hallo Andreas,
sehr spannender Beitrag. Interessant finde ich die HRV Bereiche der Studien.
Ich trainiere seit ca. einem Monat mit Morpheus, einer amerikanischen App, die auch mit dem HRV Wert arbeitet, und diesen morgens mit einem Brustgurt ermittelt. Meine HRV Werte schwanken dabei so zwischen 68 und 81 (ich bin übrigens 56 Jahre alt). Morpheus trackt über den Brustgurt auch meine Trainings, gibt wöchentliche Trainingszeiten in den verschiedenen Herzfrequenzbereichen an und zeigt mir täglich aus den ganzen Informationen einen Recovery Wert an, an dem ich dann erkennen kann, wie erschöpft mein Körper ist, bzw. wie hart ich trainieren kann/sollte.
Sehr interessant finde ich auch Deine Uhrentests – ich verwende die Amazfit Balance (nachdem ich den Artikel meines Kollegen von Smartzone darüber gelesen habe – ich schreibe dort über E-Bikes).
Viele Grüße aus Heidelberg
Sven